Renaissance der Atomkraft

20 Dec 2023

Der weltweit erste Atomreaktor der 4. Generation ist in China in den Alltagsbetrieb gegangen. China übernimmt damit die globale Innovationsführung bei modularen gasgekühlten Kugelhaufenreaktoren (HTR-PM) und puscht die Renaissance der Atomkraft.

Verfasst von Frank Sieren

30 Jahre haben die Chinesen daran geforscht, 11 Jahre an dem Reaktor gebaut, bis er nun in der Shandong Provinz, zwischen Peking und Shanghai in den Alltagsbetrieb gegangen ist.  Damit ist „China führend bei Forschung und Entwicklung von Nukleartechnologie“, sagt Francois Morin, Direktor bei der World Nuclear Association.

Die Anlage besteht aus zwei kleinen Reaktoren mit jeweils 105 Megawatt, die mit Helium gekühlt werden und jeweils rund 400 000 mit angereichertem Uran gefüllte Grafitkugeln.

Helium holt die durch die Kernspaltung entstehende Wärme aus dem Kern heraus und leitet sie in einen Wärmetauscher. Helium hat den Vorteil, dass es 750 Grad schafft – doppelt so viel wie die klassischen wassergekühlten Reaktoren.

Die Hitze des Reaktors produziert Dampf, der dann in Strom verwandelt wird. Der Dampf erreicht stolze 566 Grad. Damit kann der HTR-PM mit klassischen Dampfkraftwerken kombiniert werden. Spezialanfertigungen wegen niedriger Temperaturen für Atomkraftwerke sind Geschichte.

Die Kugelhaufentechnologie ist zudem inhärent sicher. Die Kernspaltung endet von selbst ohne menschliches Zutun, wenn der Heliumstrom abreißt, der Kern also nicht mehr gekühlt wird. Entscheidend ist allerdings, dass kein Sauerstoff (O2) in den Kern eindringt, der das Grafit entzünden würde. Das ist die Schwachstelle. Ohne O2 halten die Kugeln 2500 Grad aus.

Der erste Kugelhaufenreaktor wurde bereits 1967 in der deutschen Kernforschungsanlage Jülich von Professor Rudolf Schulten mit einer 15 MW Leistung in Betrieb genommen. Der Innovationsvorsprung der Deutschen ging jedoch durch den politischen Druck der Antiatomkraftbewegung verloren, der zunächst von den Grünen kam.

2011 hat die Regierung Merkel (CDU) dann beschlossen, bis 2022 aus der Atomkraft auszusteigen. Die Chinesen haben die Technologie übernommen und maßgeblich weiterentwickelt

Über 90 der Teile des HTR-PM sind nun lokal gefertigt. Der Reaktor ist eine chinesische Innovation, auf Basis deutscher Forschung, mit einer enormen Entwicklungsgeschwindigkeit.

Die World Nuclear Association schätzt, dass der Westen bis Anfang der 2030er Jahre brauchen wird, um seine Kernkraftwerke der 4. Generation in Betrieb zu nehmen.

Der entscheidende Vorteil der chinesischen HTR-PMs: Die Kraftwerke sind viel billiger, weil sie kleiner sind und industriell vorproduziert werden können. Damit können sie auch zur Einstiegstechnologie für viele Entwicklungsländer werden, die sich die großen Kraftwerke nicht leisten können. Länder mit einem hohen Anteil der Kohle an der Stromproduktion wie Südafrika (86%), Indonesien (60%) oder Indien (71%) und Polen (70%). Auch in China liegt der Anteil noch bei über 60 %.

Hinzu kommt: Die Endlagerung der Abfälle ist einfacher. Die Transuran-Abfälle der klassischen Reaktoren fallen nicht an. Die sind mehrere hunderttausend Jahre gefährlich. Die Abfälle aus den HTR-PM müssen „nur“ für einige hundert Jahre sicher gelagert werden. Das vereinfacht die Sicherheits-Anforderungen für Endlager.

China hat guten Zugang zu Uran. Das meiste Uran wird in Kasachstan produziert, einem engen Partner Pekings. Mit deutlichem Abstand folgen Australien, Namibia und Niger. 

„Diese Reaktoren können Hitze, Strom und Wasserstoff produzieren. Damit helfen sie China und der Welt Kohlenstoffneutral zu werden“, betont Zhang Zuoyi, der Dekan des Institute of Nuclear and New Energy Technology der Tsinghua Universität. Er ist der Chefdesigner des Reaktors.

Es sollen 18 Anlagen gebaut werden, davon sollen jeweils sechs eine Turbine mit einer Leistung von 650 Megawatt antreiben. Der Export folgt. Damit liegt China im globalen Trend: Eine Gruppe von 22 Ländern darunter die USA, Frankreich, Großbritannien oder die Vereinigten Arabischen Emirate hat auf der UN-Klimakonferenz jüngst in Dubai gefordert, die installierte Leistung der AKW weltweit bis 2050 zu verdreifachen – verglichen mit dem Stand von 2020.

Verbreitet wurde die Erklärung durch den US-Klimabeauftragten John Kerry. Zu den Unterzeichnern zählen auch Belgien, Finnland, Polen, Schweden und selbst Japan.

China hat nicht unterschrieben, baut aber mehr Atomkraftwerke als jedes andere Land. Derzeit sind 22 im Bau. Allein in den vergangenen zehn Jahren hat China 37 Atomkraftwerke in Betrieb genommen. Dennoch sind es erst insgesamt 55 Kraftwerke, während die USA noch über 94 AKWs verfügen und den vergangenen 10 Jahren allerdings nur zwei neue in Betrieb genommen haben.

Auch Indien baut massiv aus. Bis 2031 sollen 20 neue AKW fertig sein, was eine Verdreifachung der Megawattleistung bedeuten würde.

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